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»Stealthing«-Prozess Oberlandesgericht hebt Freispruch für mutmaßlichen Sexualstraftäter auf

Macht sich ein Mann strafbar, wenn er beim Sex heimlich das Kondom weglässt? Juristen streiten darüber. Jetzt hat das höchste Gericht in Schleswig-Holstein ein wegweisendes Urteil gefällt.
Farbiges Kondom (Symbolbild)

Farbiges Kondom (Symbolbild)

Foto: Peter Endig/ dpa

Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig hat in einem wegweisenden Urteil das sogenannte Stealthing für strafbar erklärt. Das teilte ein Behördensprecher mit. Der Begriff beschreibt das Verhalten eines Mannes, der beim Sex entgegen der Absprache mit seinem Partner oder seiner Partnerin heimlich das Kondom entfernt.

Die höchsten Strafrichter in Schleswig-Holstein hatten über einen »Stealthing«-Fall aus Kiel zu entscheiden . Das dortige Amtsgericht hatte im November einen Angeklagten freigesprochen. Die hintergangene Frau sei »mit dem Geschlechtsverkehr ausdrücklich einverstanden gewesen«, schrieb der Richter in sein Urteil. Es gebe nach geltendem Recht »keinen Raum für die Strafbarkeit eines einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs«.

Andernfalls mache sich ein Mann auch dann strafbar, wenn er beim Sex heimlich ein Kondom verwende – obwohl die Frau nur ungeschützten Verkehr wolle. »Das kann vom Gesetzgeber nicht gewollt sein«, so der Richter. Wenn »Stealthing« strafbar sein solle, müsse ein Straftatbestand eingeführt werden.

Die Staatsanwaltschaft Kiel und das mutmaßliche Opfer gingen in Revision und hatten damit nun Erfolg. Der zuständige OLG-Senat hob den Freispruch auf, wie der Behördensprecher mitteilte. Der Prozess müsse vor dem Amtsgericht neu aufgerollt werden. Der Vorsitzende des Senats erklärte demnach in der mündlichen Urteilsbegründung: Der in Kiel angeklagte Sachverhalt »erfülle grundsätzlich den Straftatbestand des sexuellen Übergriffs«.

»Stealthing«-Verfahren sind für Juristen Neuland. Die rechtliche Bewertung ist umstritten. Erst seit 2018 befassen sich Gerichte in Deutschland mit derartigen Vorfällen. Die Frage nach der Strafbarkeit hatte sich durch die Verschärfung des Sexualstrafrechts im Jahr 2016 gestellt. Als bisher höchste Instanz in Deutschland hatte sich bisher das Kammergericht Berlin mit einem »Stealthing«-Fall beschäftigt. Es bestätigte im Sommer 2020 die Verurteilung eines Mannes.

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